Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Vom Tun und Lassen

Predigt am 1. Mai 2011


Heute ist der 1. Mai. Sonntag und zugleich Tag der Arbeit. Anlass über unsere ganze Arbeit, über unser Arbeiten nachzudenken, nicht nur bei den Gewerkschaftsveranstaltungen, nein, auch in unseren Gottesdiensten. Wir haben alle Tag für Tag damit zu tun, Arbeit ist Teil unseres Lebens. Schon auf den ersten Seiten der Bibel, in den Schöpfungsberichten ist von der Arbeit die Rede, vom Bebauen und Bewahren, vom Schweiß auf unseren Gesichtern durch die Last der Arbeit. Nun ist das ein endlos großes Thema und ich habe länger überlegt, wie ich das heute früh aufgreifen kann. Mir fiel dann die Redewendung vom Tun und Lassen ein. Hanke Ibbeken hat mal vor einiger Zeit eine Andacht über das Lassen-können gehalten. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich hab dazu in die Bibel geschaut – da gibt es diese Redewendung so nicht. In unserer deutschen Sprache ist es aber ein bekannter Ausdruck, vom Tun und Lassen zu sprechen. Und auch in einem Lied, das wir nach der Predigt gemeinsam singen werden, heißt es: Gott segne unser Tun und Lassen. Das hören wir so und denken nicht weiter drüber nach, es ist halt so eine Redewendung. Aber was soll das bedeuten?

Dass es beim Arbeiten um das Tun geht, das leuchtet uns unmittelbar ein, aber wieso und wie hat Arbeiten auch etwas mit dem Lassen-können zu tun? Lassen Sie uns also ein wenig darüber nachdenken.

Tag der Arbeit ist heute, da denkt man in aller Regel an die Erwerbsarbeit, an Arbeitsplätze, an bezahlte Arbeit, von der es zwar durch den Aufschwung immer mehr, aber doch noch lange nicht genug für alle gibt. Ein Arbeitsloser wird da nur Kopfschütteln, wenn er davon hört, dass es beim arbeiten auch um das Lassen geht. Erst mal will ich doch was tun, das Lassen tue ich den ganzen lieben langen Tag. Verständlich. Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille. Seit Jahren (!) weisen die Krankenkassen übereinstimmend (!) darauf hin, dass die psychischen Belastungen der Arbeitsplätze und der Erwerbsarbeit immer mehr Menschen krank machen. Depressionen und Burnout haben die Rückenbeschwerden als häufigste Ursache für Krankschreibungen abgelöst. Da könnte, müßte oder vielleicht würde auch mancher gerne etwas von der Arbeit lassen, um gesund zu bleiben oder zu werden...

Ziehen wir den Kreis noch etwas weiter und beziehen noch andere Formen von Arbeit mit ein: Hausarbeit, ehrenamtliche Arbeit, Fortbildung in der Freizeit zum Beispiel. Irgendwann ändert sich dann die Blickrichtung. Denn unausweichlich wird irgendwann unübersehbar: bei aller Arbeit, die ich tun könnte oder auch müsste, der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und etwas Zeit zum Schlafen und Essen und zur Erholung und für die Familie und die Freunde und... muss, oder sollte doch auch noch bleiben. Spätestens dann stellt sich die Frage, wie denn Tun und Lassen zusammenhängen, Tun sollen, Tun müssen. Tun können und Lassen können, Lassen sollen und Lassen müssen.

Michael Frein hat mal in einem Artikel für Südwind, das ist eine christliche Initiative für gerechte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nord und Süd, geschrieben: Mit immer Schneller – Höher – Weiter kommen wir nicht mehr lange weiter. Wenn wir uns in der Welt umschauen, dann stellen fest, wir plündern diesen Planeten und uns selbst in dem Wahn, immer mehr haben zu wollen. Er schlägt vor, sich doch eher mit dieser Reihe anzufreunden: Anders – Besser – Weniger. Und er sagt, dass muss kein Nachteil an Lebensqualität sein, aber die Änderung muss in unserem Kopf beginnen. Und das gilt im großen Leben, aber auch im privaten Bereich.

Bei Anders – Besser – Weniger, da geht´s auch um das Tun und Lassen... Aber.. Etwas lassen, das ist doch ein Begriff, der häufig erst mal Unwohlsein auslöst. Etwas sein Lassen, etwas sein lassen müssen, klingt oft nach Verzicht, nach Einschränkung, nach Verlust, nach Los-lassen

Verzicht und Verlust gehen sehr oft von dem Gefühl davon aus, dass ich zu kurz komme. Unter Verzicht wird heute vor allem Konsumverzicht verstanden, da hat sich das ökonomische Denken tief eingeprägt und die Werbeindustrie hat das ihre dazu beigetragen, überlegen sie nur mal, wie dick der Prospektstapel heute früh wieder in Ihrem Briefkasten war... Verzichtsangst äußerst sich häufig in der Angst, weniger kaufen zu können. Und um mehr kaufen zu können, müssen wir mehr arbeiten, so die Logik. Michael Frein behauptet nun aber, dass Kaufverzicht, der Verzicht auf immer mehr, immer angebliche bessere, schnellere Dinge heilsam sein kann. Klingt erst mal ganz schön und hoffnungsvoll, oder? Doch einfach ist die Sache wahrlich nicht.

Denn es stellt sich doch unvermeidlich die schwierige und heikle Frage nach den Dingen, an denen wir uns orientieren, wenn wir fragen, was wir tun und bzw. oder lassen sollen. Unbewusst schrecken wir denn dann doch schnell zurück, wenn wir vom Verzicht hören, vom Gürtel enger schnallen, vom sogenannten Reallohnverlust, von steigenden Mieten und Energiepreisen und sinkenden Renten...

Wenn wir den Knoten der Angst und der Unsicherheit auflösen wollen, dann müssen wir nach der Motivation fragen, nach dem Warum? Warum soll, will ich in Zukunft auf etwas verzichten? Oder auch: Warum soll, will ich mehr oder auch weniger arbeiten? Warum suche ich nach einem anderen Job? Warum kann ich nicht mehr aufraffen, dies oder jenes zu tun? Warum gelingt es mir nicht, auf das immer mehr Haben-wollen zu verzichten? Tun und Lassen, warum? Es geht bei dieser Frage immer um die Ziele, um den Sinn des Ganzen. Auch in unserer Arbeit. Also: Immer schneller – höher – weiter – besser – schöner – vor allem mehr....? Nach dieser Devise ist unser Wirtschaftssystem aufgebaut, Wachstum ist gut, alles andere schlecht. So geht´s aber nicht weiter, denn wie schon der Sozialphilosoph Andre Gorz sagte:

Genug ist das Beste, was es gibt.

Der Satz ist so wahr, der könnte glatt in der Bibel stehen.

Anders formuliert: Es ist bekannt, dass Geld durchaus glücklich macht. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt von Wohlstand, dann steigert sich das Glück mit immer mehr Geld nicht mehr und irgendwann schlägt es sogar um – immer mehr Geld macht keineswegs immer glücklicher... Und das gilt wohl doch auch für andere Dinge als Geld. Immer mehr Freizeit? Langweilig. Immer das neueste Handy? Stressig. Die Reihe können Sie für sich beliebig. Wo ist die gefühlte Grenze, wo ist genug...?

Was tun in meinem, unserem Leben, was lassen, vielleicht sogar los-lassen? Ganz schwierige Fragen. Die wir auch hier in unserer Gemeinde und in unserer Kirche überhaupt diskutieren. Was tun, was lassen? Hauptamtliche Jugendarbeit haben wir schon gelassen, Kindergartenarbeit wollen wir weiter tun. Manche pfarramtliche Arbeit muss zukünftig gelassen werden, so die Vorgaben der Landeskirche. Doch was genau sollen wir Pfarrerinnen und Pfarrer dann tun, was lassen? Die Meinungen gehen weit auseinander. Mehr Seelsorge, weniger Verwaltung heißt es oft. Leichter gesagt als getan. Wer macht denn dann die Verwaltung? Hauptamtliche? Kein Geld da. Ehrenamtliche? Ja, wo sie finden, die dann diese Arbeit tun wollen, damit ich als Pfarrer sie lassen kann...?

Ach, ist das alles schwierig mit dem Tun und Lassen... Schon in meinem eigenen Leben muss ich hier die Grenze versuchen zu ziehen und dann geht es weiter, dann kommt der Arbeitsplatz, die Stadt, das Land... Überall Diskussionen, um das was zu tun wäre und was alles zu lassen ist. Die einen fordern, dass die Bürger den Gürtel enger schnallen müssen und viele Dinge lassen müssen, die Gegenseite fordert, dass erst mal die Wohlhabenden heranzuziehen wären, weil die mehr als genug haben und ja, die Zocker an den Finanzmärkten müsste man auch mal zwingen, ihr Tun zu lassen... Und jede und jeder hat dann noch seine ganz eigene Meinung, das lese ich nicht nur in der Zeitung, sondern höre es auch hier in der Gemeinde...

Was also tun? Oder anders gefragt: Wo ist denn jetzt das Evangelium? Wo macht denn unser Glaube das Tun und Lassen leichter? Leider gar nicht, eher schwerer, weil wir – je tiefer wir uns in dem Gestrüpp von Tun-können und Lassen-müssen oder umgekehrt verstricken – immer mehr merken, dass uns die Dinge aus den Händen gleiten. Was gut ist und was nicht, wer will das in unserer so komplizierten Welt schon sagen... Das Evangelium, liebe Gemeinde, sagt aber doch etwas, aber etwas ganz anderes: Du musst nicht nur, du darfst auch entscheiden, mit Zagen und Zittern, mit Bauchschmerzen und Zweifeln. Im meinem privaten Leben, in meinen Zusammenhängen hier vor Ort, als Stadtratsmitglied und Wählerin, als Käufer und Käuferin im Supermarkt und so weiter... Denn nun kommt jetzt unser Glaube ins Spiel: Gott segne unser Tun und Lassen. Im Vertrauen auf ihn darf ich tun und lassen. Dietrich Bonhoeffer hat mal gesagt, wer verantwortlich handelt, wird immer auch schuldig werden an sich und anderen, das ist unausweichlich – aber mit Gottes Zusagen im Rücken kann ich mich darauf einlassen. Mit dem ganzen Zagen und Zittern. Letztlich macht dies Ernst mit dem Satz von Andre Gorz: Genug ist das Beste, was es gibt. Das darf ich für mich und mit andere zusammen durchbuchstabieren. Das verschafft Ge-Lassen-Heit. Es liegt nicht allein in meiner Hand, was aus meinem Tun oder Lassen wird. Erschreckend auf der einen Seite, aber entlastend auf der anderen. Oder?

Amen.


Das Zitat von Frein findet sich in:

Frein, Michael 2010: Warum Wirtschaftswachstum nicht zukunftsfähig ist – Bemerkungen im Anschluss an die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt«. In: Südwind e.V. (Hrsg.): Die Wirtschaft braucht neue Maßstäbe. Plädoyer für eine Neuorientierung. Siegburg: Südwind e.V., S. 36-38, hier S. 38